Donnerstag, 1. September 2016

Über Beruf und Berufung


Manche Leute haben einen Beruf und andere Leute haben eine Berufung. Die einen machen ihren Job, die anderen lieben ihren Job.
 

Bei der Geburt meines 1. Sohnes hatte eine Hebamme Dienst, die gefühlt uralt war und nach späteren Recherchen wohl noch aus dem Bestand der alten Nonnen kam, die vorher das Krankenhaus führten. Ich lag also mit meinem 1. Kind in den Wehen, durch andere Umstände, die ich vielleicht mal in einer anderen Geschichte thematisieren werde, ohne Geburtsvorbereitungskurs und ohne jegliches Wissen wie eine Geburt vor sich geht. Die Devise der alten verbitterten Hebamme war nur, ich solle mich nicht so anstellen, ich habe es schließlich so gewollt. O-Ton der guten Frau. Gott sei Dank, war dann Schichtwechsel und 30 Minuten später mein 1. Sohn auch da. Dank der supertollen, jungen und engagierten Hebamme, die dann Dienst hatte. Sie war ein Geschenk des Himmels und ich sage heute noch, wäre kein Schichtwechsel gewesen, hätte ich bei der alten Hebamme bis heute mein Kind noch nicht.

 
Auch später auf dem Zimmer, wenn Nachtschwester Ludmilla (ungelogen) Dienst hatte, traute man sich gar nicht zu klingeln oder irgendetwas zu fragen, weil man so Angst vor ihr hatte. Und dass mir jetzt der Name, der wundervollen lieben und freundlichen Krankenschwester nicht mehr einfällt, die das ganze Gegenteil von Ludmilla war, mag daran liegen, dass man sich an Schlechtes besser erinnern kann, als an Gutes.

 
So ist es ja auch mit Restaurantbesuchen, 1 negative Meinung zieht 10 neue negative Meinungen mit sich, da es immer wieder weiter und weiter erzählt wird (Mundpropaganda). Aber 1 gute Bewertung, schafft nicht 10 neue gute Bewertungen, sondern maximal 1.

 
So ist der Mensch, gemein und gehässig und getratscht wird doch, seien wir mal ehrlich, nicht über wie toll doch, das letzte Meeting war, sondern dass Kollegin A. Wieder mal soooo einen kurzen Rock an hatte oder der Kollege B. Verdächtige dunkle Augenringe hatte und wohl mal wieder eine Nacht durchgemacht hat.
 

Zurück zur Berufung. Ich liebe meinen Job, ich bin eine gute Sekretärin und strukturiere gerne Leute. Und irgendwie habe ich den inneren Anspruch es allen recht machen zu wollen. Ich mag es, wenn sich alle lieb haben, es keinen Streit gibt und jeder zufrieden ist. Aber das ist natürlich nicht immer möglich und es liegt nicht an mir! Das war ein langer Lernprozess und ich lerne es jeden Tag aufs Neue. Ich mag die Retterin des Tages von meinem Chef sein, die Mitarbeiter finden es aber weitaus weniger prickelnd, dass ich noch ein Meeting für 18 Uhr organisiert habe. Mein Chef ist glücklich, ich bin glücklich, dass mein Chef glücklich ist, aber die Mitarbeiter sind weniger glücklich.

 
Ich habe also meine Berufung gefunden und ich mag mich. Und ich bin gerne nett zu anderen Menschen und versuche sie glücklich zu machen. Aber die eigentliche Frage, die mich seit einiger Zeit umtreibt, ist die: werde ich für meine Nettigkeit bezahlt? Steht sowas in meiner Stellenbeschreibung?!
 

Die Frage kam auf, ob eine z.B. Weightwatchersgruppenleiterein nur nett zu mir ist, weil ich sie bezahle? Ist der Bäcker nur nett zu mir, weil ich ihn bezahle, weil ich sein Kunde bin und er durch mich sein Lohn und Brot verdient? Muss ein Stylist, den ich für eine Farbberatung bezahle, mich verändern wollen, weil das sein Auftrag war? Muss eine Seminarleiterin auf Teufel komm raus, Verbesserungsvorschläge finden, weil man in dem Seminar ist, um sich selbst zu finden?

 
Ich meine, die Frage wird sich bei mir (leider *grins*) nie stellen, ob mich meine Freunde nur wegen meines Geldes lieben? Aber ich stelle mir schon die Frage, kriege ich immer das, was ich kriege, weil ich dafür bezahle oder weil ich so bin wie ich bin?
 

Man sagt doch, wie man in den Wald hineinruft so schallt es heraus. Wenn ich also freundlich Brötchen bestelle, kriege ich auch "nett" Brötchen verkauft und wenn ich den Bäcker schroff Befehle erteile, aber doch auch oder?
 

Da ist glaube ich noch viel mehr. Sitte und Anstand. Der Satz: "aber das macht man doch nicht." "Das gehört sich nicht!"

 
Ich möchte gerne wertgeschätzt werden. So wie ich bin. Wie ich meinen Job tue und dass ich ihn tue. Man kann wohl nicht von allen geliebt werden, aber ich glaube mittlerweile möchte ich das auch gar nicht mehr. Ich möchte schließlich auch nicht alle Leute mögen, ich möchte das Recht haben, den unsympathisch zu finden, der es mir nun einmal ist, und auch auf dem 2. oder 3. oder 4. Blick / Kontakt.
 

Die goldene Regel der Ethiklehre besagt:
 

"Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“

 
oder auch negativ formuliert:

 
"Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“
 

Diese Werte werden in Deutschland gelebt bzw. sollten es. Und wenn jeder seiner Berufung folgt und in seinem Job aufgeht, dann wird dies wohl automatisch geschehen. Denn auf die Einstellung kommt es an. Wenn ich mich jeden Morgen zur Arbeit quäle und mit Bauchschmerzen aufstehe, dann kann ich auch keinen guten Job machen. Eine liebe Kollegin sagte mal zu mir: "wenn du deinen Job liebst, dann ist es so, als ob du nie arbeiten müsstest, sondern jeden Tag Urlaub hast."

 
Okay, ganz so ist es vielleicht nicht, aber der Ansatz stimmt. Ich werde also weiterhin meine Brötchen ganz lieb und nett beim Bäcker meines Vertrauens kaufen. Und ich werde mich in der nächsten Woche mal mit dem Gedanken versuchen, dass andere nett zu mir sind, weil ich es bin, weil ich es verdient habe, weil jeder das bekommt, was er verdient. Denn der Ton macht die Musik. Auch wenn ich vielleicht für die Musik bezahle...

 
PS: der Gedanke, ich könnte mir nur nette Menschen in meinem Umfeld "erkaufen" und alle würden mir nach dem Mund reden, finde ich sehr gruselig.... Gut, dass ich nicht reich, berühmt oder Königin bin, sondern dass ich Freunde habe, die mir auch mal ganz ehrlich die Meinung sagen können. Und dürfen und sollen.
 

Und jetzt mal aus die Maus, Ende im Gelände, ich bin jetzt nett zu mir, weil ich es mir wert bin. Und es tut gut, dies mal schwarz auf weiß zu lesen. Probiert es doch auch einmal.
 

Und zum Schluss noch eine Frage:

 
„Und du bist?“

 
„Es wert!“
 
 
 
 

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