Freitag, 24. März 2017

Ich habe mit einer Rosine gesprochen oder warum wir im Hier und Jetzt leben sollten


Ich war letzten Sonntag auf einem Achtsamkeitsseminar.

Warum?

Achtsamkeit ist ja momentan in aller Munde und jetzt bin ich nicht so unbedingt der Trendsetter, der jeden neuen Hype mitmachen muss, aber ich probiere gern neue Sachen aus und ein Arbeitskollege, der schon so ein ähnliches Seminar besucht hat, ist immer die Ruhe selbst und mit sich selbst sichtbar im Reinen. Und das wollte ich auch mal probieren.

Setting

Ich betrete den Raum der VHS und mich erwartet ein Mann in den mittleren Jahren mit T-Shirt, Jogginghosen und Barfüßchen und Spitzbart. Ulrich. Ulrich ist unser Yogalehrer.

Die anderen

Teilnehmer wir sind nur 5 von angemeldeten 12, sind eher ein stilles Grüppchen. Eine Frau mit Dr.-Titel, ein Mann, der den Kurs von seiner Schwiegermutter geschenkt bekommen hat (was mir mehr Fragezeichen aufwirft als Antworten z.B. Warum ist nur er hier und nicht seine Frau oder seine Schwiegermutter und dass ich z.B. Ausrasten würde, wenn meine Schwiegermutter mir so etwas schenken würde) und 2 Freundinnen, wobei eine total offen für alles ist und die andere im starken Berliner Dialekt ihren Unmut und die Nichtwirksamkeit des Seminars schon im Vorfeld verkündet. Tja und ich.

Kurzer Fluchtgedanke

So weit so gut, als wir die Vorstellungsrunde beendet haben, alle im Schneidersitz auf unseren Turnmatten und Meditationskissen sitzend, möchte Ulrich einen "Auszeit-Engel" bestimmen. Dieser Engel soll die Schwingungen der Gruppe erfühlen und eine Pause verordnen, wenn die Energie im Raum nicht mehr stimmt. Es meldet sich niemand und ich bin kurz davor, meine Sachen zu packen und zu gehen. "Auszeit-Engel", also wirklich. Ich dachte wirklich, sowas gibt es nur im Fernsehen.

Die Übungen

Wir lernen den Bodyscan kennen, wo ich fast einschlafe und danach fix und fertig bin. Also wenn das Entspannung ist, dann ist Entspannung wohl doch nichts für mich.

Wir lernen Sequenzen, aus dem Yoga kennen, wo ich besonders das "Nachspüren" nach jeder Übung interessant fand. Wie fand mein Körper das jetzt, als ich das Bein nach links gestreckt hatte, wie fühlte es sich an? Wie fühlt es sich jetzt an? Manchmal waren sowohl mein Geist als auch mein Körper ratlos.

Und zu guter Letzt Mediation. Wir machen Atemübungen und eine Gehmeditation. (Wo Mrs. Berliner Dialekt sich nach 1 Minute wieder hinsetzt, während wir anderen von Ulrichs Stimme geführt durch den Raum bewusst und achtsam gehen, den Blick immer 1-1,5 m vor uns gerichtet.)

Interessant ist hier auch, dass wir zwar 5 Schüler waren, Ulrich uns aber immer mit „du“ redete. Also "du spürst jetzt, du atmest ganz ruhig ein usw." Ich fühlte mich immer irgendwie nicht angesprochen. Wir waren doch eine Gruppe und welches DU war jetzt ICH? Aber das wird jetzt zu philosophisch.

Die 3,2,1-Meditation, die mit Ebay wohl nichts zu tun hat, war auch nicht ganz meins. Man sollte sich erst auf 3, dann auf 2 und dann auf 1 Sache im Raum konzentrieren, die man hört und sieht. Also bewusst wahrnimmt. Da außer Ulrichs Stimme und das laute Atmen der Doktorin nichts zu hören war (dass die ganze Zeit nach der Mittagspause der Bauch der Frau Doktorin komische Geräusche machte, erzähle ich hier lieber nicht), war die Übung schwierig für mich.

Cranberry

Und was war jetzt eigentlich mit der Rosine mögt ihr euch fragen? Tja, das war Teil einer Essensmeditation. Wir durften uns jeder eine Nuss, Rosine oder Cranberry aus einer Tüte Studentenfutter nehmen. Und dann fühlten wir die Rosine und rochen an ihr und betrachteten sie mit Liebe. Als Ulrich dann aber meinte, jetzt halten wir die Rosine an unser Ohr. Konnte ich nicht mehr an mich halten und kringelte mich vor Lachen am Boden. - ich wurde ignoriert - Wir sollten jetzt hören, was die Rosine für Geräusche macht, wenn wir sie drücken oder quetschen. Mir schossen Gedanken durch den Kopf, wie "gleich fragen wir die Rosine wie es ihr geht und ob sie etwas dagegen hat, wenn wir sie gleich essen" oder "meine Rosine sagt mir gleich, dass sie eigentlich eine Cranberry ist und keine Rosine."

Es war herrlich. Letztlich durften wir sie mit den Lippen berühren und spüren und 1x raufbeißen und dann aufessen und mit der Zunge die Reste der Rosine ertasten. Oh man, die weiteren Details erspare ich euch.

Gefragt nach unserer Meinung, erzählte ich von meinen "abtrünnigen" Gedanken. Ulrich ganz cool: "und wo warst du gedanklich die letzten 30 Minuten?" Ich "ganz bei der Rosine". Ulrich: "Ziel erreicht." Und das verblüffte mich, denn er hatte recht. Ich hatte doch tatsächlich 30 Minuten mal keine Pläne gemacht und mich somit ganz im Hier und Jetzt befunden.

Fazit

Es war total abgefahren und eine völlig neue Erfahrung für mich. Normalerweise plane ich 110% meines Tages durch. Und sich dann einfach mal einen ganzen Sonntag nur mit sich selber und dann noch genau im Hier und Jetzt zu spüren und zu fühlen, ist etwas ganz Neues.

Ich werde wahrscheinlich noch eine ganze Weile bei dem Anblick einer Rosine in schallendes Gelächter ausbrechen. Aber genauso lange und oft hoffe ich doch, ab und zu mal innehalten zu können, sei es bewusstes Treppenlaufen (Ulrich) oder einfach mal ruhig und bewusst atmen und den Blick in die Ferne schweifen lassen.

Denn „Die Meisten verwechseln Dabeisein, mit Erleben.“ (Max Frisch)


Donnerstag, 16. März 2017

Warum ich nicht mehr schreibe oder warum aller Anfang schwer ist - und das immer wieder



Warum habe ich seit November nichts mehr geschrieben?

Tja, eine sehr gute Freundin würde sagen, okay analysieren wir die ganze Sache mal Schritt für Schritt:

*  sobald ich etwas aufschreibe ist es vergessen. Vergessen in dem Sinne, "aus den Augen, aus dem Sinn." Manchmal habe ich Artikel von mir gelesen und gedacht, "wow, das habe ich geschrieben?!" Ich müsste also mal eine Art Inhaltsverzeichnis machen, so stichpunktartig. Es ist nicht so, dass mich die Artikel oder die Themen, die darin abgehandelt wurden, nicht mehr beschäftigen würden. Es ist vielmehr so, dass ich, wenn ich mich damit beschäftigt habe, der Dreh- und Angelpunkt sich verlagert hat und ich wieder bereit bin für neue Sachen. Die Themen wandern also, wenn man meine Gedankenströme in meinem Kopf als Kreis betrachten würde, in den Rand, während ein neues Thema im Mittelpunkt steht.
*  Und ja, ich bin da wahrscheinlich, etwas männlich veranlagt, bei mir steht immer nur ein Thema im Mittelpunkt. Und über dieses eine Thema kann ich mich stundenlang aufregen oder es drehen und hin- und her wälzen. Es in allen möglichen Varianten von "was wäre wenn" durchspielen. Oft natürlich auch mit "hätte ich nur" oder "hätte ich doch nicht" oder "hätte ich nicht lieber so handeln sollen" oder "doch lieber so".
*  Letztlich vergebene Liebesmüh, denn wenn etwas vorbei ist, ist es vorbei und kann nicht mehr  geändert werden. Der richtige Schritt wäre, das einfach zu akzeptieren und das Beste aus der Situation zu machen. Aber soweit bin ich noch nicht, auch wenn ich es theoretisch weiß.
*  Apropos Situation, ich probiere neuerdings weniger Pläne zu machen, das heißt, ich versuche mehr im Hier und Jetzt zu Leben. Was für mich schwer ist, denn ich liebe Pläne. Das gibt mir Sicherheit, Kontrolle und Selbstvertrauen. Aber wir wissen alle, dass das Leben nicht planbar ist. Daher übe ich mich in Spontanität und auf mein Gefühl im Hier und Jetzt zu hören. Was brauche ich, was tut mir gut, ich versuche gut für mich zu sorgen.
*  Apropos gut für sich sorgen, ich habe seit Oktober auch viel an mir gearbeitet. Und wenn man nach 35 Jahren plötzlich anfängt, sich um sich selbst zu kümmern, statt immer nur um andere und versucht zu verstehen, warum man so fühlt, wie man sich gerade fühlt und einfach probiert glücklich zu sein, im Hier und Jetzt - dann ist das harte Arbeit. Dann hat man keine Lust mehr, sich donnerstags hinzusetzen und auch noch einen Artikel darüber zu schreiben, wie man sich gerade fühlt und warum das so ist. Denn das ist es ja, ich schreibe immer Artikel über Dinge, die mich gerade im Moment beschäftigen.
*  Also habe ich mir eine Auszeit genommen, eine Pause vor mir und meinen Gedanken.
*  Andererseits war das hier ja als eine Art öffentliches Tagebuch gedacht. Denn nach wie vor, liebe ich es zu schreiben, aber manchmal habe ich Angst, was am Ende rauskommen könnte. Und letztlich ist es so, dass ich mich seit Oktober den Themen genähert habe, die mich wirklich im Innersten beschäftigen, die mich und mein Wesen ausmachen. Aber ist das für die Öffentlichkeit bestimmt? Interessiert das überhaupt jemanden? Bzw. Ist es überhaupt für jemand anderen wichtig außer für mich?
*  Und apropos Öffentlichkeit, das war auch noch ein Hinderungsgrund. Wer einen öffentlichen Blog schreibt, braucht ein Impressum. Und das muss zu 100% stimmen, sonst kann jemand deine Gedanken klauen oder dich verklagen oder dich stalken oder was auch immer. Es ist also ein Zwiespalt, ich will schreiben, aber am liebsten möchte ich, dass es keiner liest. (Meine Angst -  vielleicht schon mal in einem Artikel erwähnt, keine Ahnung, ich habe ja noch kein Inhaltsverzeichnis - ist es einfach so aus dieser Welt zu verschwinden ohne Fußspuren hinterlassen zu haben) Ich möchte also auf der Bühne stehen und Applaus bekommen, aber ohne gesehen zu werden, um es mal bildlich auszudrücken. Das dies unmöglich ist, leuchtet sogar mir ein. *grins*
*  und dann noch dieser Druck, dieser "Like for Relike"-Stress in Facebook, diese Werbung in eigener Sache machen, damit man ganz viel Klicks bekommt. Dazu Statistiken, wer hat von wo und wie auf meine Seite geklickt. Das ist nicht wichtig für mich. Und dennoch ist es notwendig, wenn ich mich nur irgendwie in Richtung Bühne bewegen will.
*  Fassen wir also zusammen, ich stehe mir und meinen Träumen mal wieder selbst im Weg. Höchstwahrscheinlich wurde Rom nicht an einem Tag erbaut und auch noch nie ein Buch an einem Tag geschrieben. Also muss man einfach anfangen und das immer und immer wieder. Jeder Schritt ist ein Schritt. Und ein Schritt nach vorne kann nie ein Schritt zurück sein. In China gibt es dafür ein Sprichwort:

"Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.“

Und in diesem Sinne, werde ich es versuchen, und das jeden Tag aufs Neue. Ich werde versuchen mir selbst treu zu bleiben, weil mir das wichtig ist. Aber trotzdem einfach anfangen, und ist der Schritt auch noch so klein. Es muss nicht gleich alles perfekt sein.

Denn der Weg ist das Ziel!