Donnerstag, 4. August 2016

Jetzt ist die alte Hexe tot oder über Nachbarschaften


Jetzt ist die alte Hexe tot oder über gute und schlechte Nachbarschaft 
Die alte Dame unter uns ist letzte Woche gestorben bzw. von uns gegangen, sie hat das Zeitliche gesegnet oder sie ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Ich hoffe echt für sie, dass es keine Hölle gibt, denn da wäre sie jetzt wahrscheinlich. 
Ich hoffe einfach, dass sie da wo sie jetzt ist, ihren Frieden findet. Den Frieden, den sie zu Lebzeiten nicht annehmen konnte.
Wie kam es dazu?
Unter uns wohnte eine alte verbitterte Frau. Dass wir mit unseren 2 Kindern über ihr, sehr viel Krach machen, ist mir klar, aber ich habe wirklich versucht nicht über Maßen laut zu sein. Sie klopfte dennoch ständig von unten gegen die Zimmerdecke, mit einem Besen wahrscheinlich. Und ja, wenn man ganz still ist und keinen Fernseher an hat und sich ganz doll Mühe gibt, dann höre ich auch, dass die Leute über uns oder neben uns etwas reden, aber man kann ja auch regelrecht drauf warten. Unsere Kinder also "Piep" und sie "Peng."
Es fing schon morgens im Treppenhaus an, dass sie schrie, "wir sollten doch leiser sein." So drücke ich es jetzt mal aus. Gingen wir auf den Balkon, kam von unten, "jetzt hat man noch nicht auf dem Balkon seine Ruhe." Und dabei sind meine Kinder im Vergleich echte Engel.
Ich weiß, dass sie oder man gegen Kinderlärm nichts machen kann. Also rechtlich gesehen, ist ja Kinderlärm kein Lärm, sagt zumindest das Bundesverfassungsgericht. Und somit gehört Kinderlärm zum Leben dazu. Trotzdem machte es mich tierisch fertig, dass sie immer da war. Dass sie schrie und klopfte und schon deshalb münzte ich meinen Kindern immer ein, dass zum Beispiel das Bobbycar ja nur einmal und nicht andauernd rumfahren müsste. Sie machte mich einfach psychisch fertig mit ihren Mittelchen. Sie schränkte mich ein. Sie machte mein Leben und meinen Lebensraum kleiner. "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt", sagte schon Immanuel Kant. Einmal rief sie die Polizei, weil wir den Tannenbaum aus dem Fenster geschmissen haben. Sie fühlte sich mit Leib und Leben bedroht.
Ich versuchte mir vorzustellen, dass wir die einzige Kontaktmöglichkeit für sie jeden Tag darstellen. Wir waren ihr Kontakt zur Außenwelt und sie liebte es zu schimpfen.
Für die Besserwisser unter euch, jeden wirklichen Kontakt lehnte sie natürlich ab. Wenn wir mit ihr sprechen wollten, ob an der Tür oder per Telefon, war das netteste was sie zu uns sagte: "wir sollten sie am Arsch lecken." Einmal grüßte sie mich aus Versehen zurück, das wurde den nächsten Tag mit doppelt so viel schimpfen wie normal belohnt.
Trotzdem sagte ich ihr, als ich sie nach einem langen Krankenhausaufenthalt wieder traf, "schön dass sie wieder da sind." Es folgte natürlich keine Reaktion.
Muss ich noch erwähnen, dass sie sich mit den restlichen Nachbarn im 6-Parteien-Haus auch zerstritten hat und seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern hat? Nicht, dass wir es nicht immer wieder versucht hätten. Ich finde gerade, wenn jemand einsam ist, können doch so ein paar unvoreingenommene Kinder das Eis brechen und den Tag bereichern.
Naja, ich musste mich jedenfalls so zusammen reißen, als mein Sohn mich einmal fragte, "wer wohnt denn unter eigentlich unter uns?" und sie mal wieder in Hörweite hinter ihren Fenster lauerte, "eine nette alte Oma", sagte ich. "Eine böse alte Hexe", lag nur kurz auf meiner Zunge bevor ich es runterschluckte. So lange es geht, halte ich meine Kinder von Vorurteilen frei.
Mein Mann und ich haben vorhin kurz Tränen gelacht, wir hatten nämlich eine Einladung zu ihrer Beerdigung im Briefkasten. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie das wüsste. Aber ihre Kinder gehen selbstverständlich davon aus, dass wir im Haus miteinander Kontakt hatten. Dieselben Kinder übrigens, die 2 Tage nach ihrem Tod schon ihre Wohnung leer räumten. Klar, eine 4 Zimmer Eigentumswohnung in bester Lage. Allerdings bin ich sehr auf das Testament gespannt, nicht dass ich es je sehen werde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Kinder mehr als den Pflichtanteil bekommen werden. Den Rest bekommt vielleicht das Tierheim.
Denn tierlieb war sie. Zumindest in ihren Augen. Sie hatte einen Hund, der es nicht wirklich gut hatte, kein Auslauf, nie einen Spaziergang, immer nur an der Leine runter in den Garten. Ein paar Mal riefen Nachbarn, nicht wir, den Tierschutz, der aber nichts machen konnte. Das Ordnungsamt hatten wir übrigens auch oft hier, einfach weil es in ihrer Wohnung oft unangenehm roch und auch der Garten mehr als runtergekommen war.
Ja, ich habe immer noch Mitleid mit ihr. Sie musste zum Schluss sehr unter ihrer Krankheit leiden, und war wahrscheinlich sehr allein und einsam. Ich tippe immer noch darauf, dass die Ärzte sie nur entlassen haben, weil sie sie auch nicht mehr ertragen konnten.
Wie man in den Wald hineinruft so schallt es heraus, sagt ein Sprichwort. Ja, das denke ich auch, aber hätten wir uns nicht noch mehr Mühe geben können oder müssen? Jetzt wo sie nicht mehr da ist, obwohl ich mir das sehr oft gewünscht habe, macht mich auch das fertig. Ich hätte so gern meinen Frieden mit ihr geschlossen, aber man kann es ja nicht jedem Recht machen.
Wenn sie wüsste, dass wir jetzt mit dem Gedanken spielen ihre Wohnung zu kaufen, wird sie wahrscheinlich dort wo sie jetzt ist, nicht mehr zu Ruhe kommen. Ein bisschen habe ich Angst, dass ihr Geist uns in ihrer alten Wohnung heimsuchen wird....
Aber sehen Sie es doch mal so liebe Frau D. Jetzt habe ich für sie schon einen ganzen Abend geopfert, ich habe Ihnen fast 2 Seiten in meinem Blog geschenkt. Das ist mein Friedensangebot: ich lasse sie in Ruhe und sie mich ab jetzt bitte auch. Ich wollte Ihnen nie etwas Böses, mein Motto war schon immer: jedem das seine. Ich tu dir nix und du mir nix. Leben und leben lassen. Wir müssen ja einander nicht mögen oder gar heiraten, wir waren einfach ganz zufällig nur Nachbarn.
Dass es auch noch ganz anders geht mit zufälligen Nachbarn, erfahrt ihr nächste Woche. Denn das ältere Ehepaar über uns, sind unsere "adoptierten" Großeltern geworden und wir sehen sie täglich. Wir lieben sie heiß und innig und sind sehr dankbar dass es sie gibt.
Fazit: Familie kann man sich nicht aussuchen. Nachbarn auch nicht immer, aber Freunde schon. In diesem Sinne lasst uns das Beste aus jeder Situation machen. Bis nächsten Donnerstag und Carpe Diem! 

1 Kommentar:

  1. Mir stellt sich die Frage, warum sie so geworden ist, wie geworden ist. Vielleicht gab es Dinge in ihrem Leben, die sie zu dem gemacht haben, was sie geworden ist und vielleicht stand sie sich mit Ihrer Laune und ihren Nörgeleien viel mehr selbst im Weg. Immerhin hatte sie dadurch wohl weniger Kontakt zur Familie und Freunde hatte sie wohl auch nicht wirklich. Schade, wenn sich jemand selbst augenscheinlich so sehr selbst ins Abseits manövriert. Aber letztendlich muss das jeder selbst wissen.

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