Donnerstag, 21. Juli 2016

Von Vorstellungen und Erwartungen


Heute habe ich nach einiger Zeit mal wieder meinen von mir ernannten Mentor getroffen. Und ich werde immer noch einen Teufel tun und ihm erzählen, dass ich ihn zu meinem Mentor ernannt habe.

Boa was war ich heute wütend auf ihn. Warum? Genau deshalb, weil er immer so schön fragen kann: warum? Wieso? Weshalb? Er hat in der Sesamstraße bestimmt immer gut aufgepasst. Ich finde es ja eigentlich ganz toll, dass er immer so viel fragt und hinterfragt. Endlich zeigt mal jemand Interesse an mir und meinen Gedanken. Er nimmt Aussagen von mir nicht einfach so hin, sondern fragt: warum? Nur heute war ich echt wütend auf ihn, ganz einfach weil ich andere Erwartungen an unseren Gesprächsverlauf hatte.

Er: und? Ich stolz: ich habe endlich angefangen zu schreiben. Ich ging jetzt von einem, ach wie toll und kann ich mal lesen und zeig mal her aus. Aber nein, nichts dergleichen. Wo hast du es denn schon veröffentlicht? Und warum nicht? Und du musst ein Ziel haben und eine Zielgruppe. Überleg dir genau wo du hinwillst und was du eigentlich willst.

Und das genau ist doch meist das schwierige im Leben, zu wissen was man will. Es fängt ja schon beim Frühstück an, will ich gesundes Müsli oder will ich Schokobrötchen? Will ich mir was Gutes tun oder meiner Seele. An jeden einzelnen Tag muss ich unzählige von Entscheidungen treffen. Eine Aneinanderreihung von Verkettung von glücklichen und erfolgreichen oder weniger geeigneten Maßnahmen. Und dabei soll ich noch das große Ganze nicht aus den Augen verlieren?!

Darüber habe ich mich schon damals mit meinen Deutschlehrern ständig gestritten. Denn ich glaubte und glaube es bis heute nicht, dass in Interpretationen von Gedichten und Geschichten was Wahres dran ist. Ich glaube nicht, dass Goethe sich hingesetzt hat und sich vorher haargenau über jedes einzelne Wort Gedanken gemacht hat, vielleicht klang das Wort einfach so schön? Und ich verstehe bis heute nicht an welcher Stelle genau Effi Briest in Fontanes Geschichte Ehebruch begangen haben soll.

In Deutsch war ich also immer schlecht bzw. bekam ich schlechte Noten. Einfach weil ich immer etwas anderes in die Geschichten und besonders in Gedichte hineininterpretiert habe. Dabei mache ich das heute noch gern in Meetings, die anderen reden und reden und meist drehen sie sich doch nur um sich selbst und ich suche mir ein Lieblingswort aus. Funktioniert so ähnlich wie Bull-Shit-Bingo ist nur schöner. Ein Kollege sagt ein tolles Wort, das einfach nett für mich klingt. Und dieses Wort ist so lange für mich der Gewinner des Meetings bis ich ein neues Wort finde. Inhaltlich ist halt viel nur leeres Gerede um den heißen Brei und Selbstdarstellung.

Ihr könnt also sicher sein, ich werde mir nicht tagelang Gedanken um einzelne Wörter hier machen und ihr müsst sie auch nicht interpretieren. Vielleicht klingen sie einfach nur schön.

Gut, Wörter sind also Mittel zum Zweck. Ist dann das Wort, das Ziel oder der Satz. Oder ist der Weg das Ziel? Es gibt so viele schöne Sprichwörter zum Thema Wege und Ziele. Eine Freundin und ich sind mal an einem Abend auf über 30 gekommen. Und das kann je nach Stimmung variieren. Von ohne Ziel ist auch der Weg egal, über du bist auf dem richtigen Weg, wenn du dich nicht mehr umdrehst, über Wege entstehen dadurch dass man sie geht und wer will findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.

Vielleicht hat also mein Mentor doch recht? Brauche ich ein Ziel? Und es ist nicht auch meistens so, dass (zumindest in meinem Fall) man sich immer aufregt und je mehr man drüber nachdenkt, doch vielleicht ein bisschen Wahrheit dran ist.

Es gibt ja die 4 Phasen des Trauerns, vielleicht sind es einfach die 4 Weisheiten des (Über)Lebens?


Nicht-Wahrhaben-Wollen

Emotionen

Suchen, Finden und sich trennen

Neuer Selbst- und Weltbezug


Dazu im Vergleich die Phasen von Liebeskummer:


Erste Vorahnungen

Erstarrung

Aktivismus

Eingeständnis

Wut

Akzeptanz / und / oder Verzweiflung


Beiden gemein, also erst das Leugnen, dann das Aufbrechen der Gefühle und dann die Verarbeitung oder Akzeptanz.


Spitzfindig seien hier auch mal die Phasen der Geburt erwähnt:


Eröffnungsphase

Übergangsphase

Austreibungsphase

Nachgeburtsphase.


Passt irgendwie auch. Man nimmt erst immer das Gesagte auf, dann reagiert man aus einem 1. Impuls heraus und dann kann man daraus was machen oder man lässt es.


Wie schon mal im 2. Text erwähnt, fragt mein Mann immer, wie lange willst du dich denn aufregen. So lange bis ich was Neues zum Aufregen gefunden habe. Ist so. Bin ich jetzt immer noch wütend auf meinen Mentor? Nicht wirklich, er hat nur ein anderes Zielbild als ich und andere Vorstellungen und Ideen. Und das ist auch gut so. Denn würde ich mich selbst coachen können, würde ich es machen.

Es ist immer hilfreich mal die Sichtweisen von anderen zu hören. Ja, man kann mal versuchen sich in die anderen hineinzuversetzen, also die Perspektive zu wechseln. Aber letztlich ist man da ja noch immer sich selber. Wenn man aber mal andere um Rat oder eine Meinung fragt, dann muss man auch mit Antworten rechnen. Und diese Antworten können manchmal auch ganz anders ausfallen, als man vorher vermuten würde. Hierzu ist es auch mal ratsam seinen "Feind" zu fragen, denn der wird dir immer schonungslos die Wahrheit sagen.

Und dann kann man was mit dieser "Wahrheit" machen oder man bleibt in seiner Welt. Manche machen dies bewusst und andere leben einfach in ihrer Welt ohne auch nur zu ahnen, dass es etwas anderes da draußen geben könnte.


Fazit: man muss sich entscheiden: ist der Weg das Ziel oder das Ziel das Ziel. Und das jeden Tag aufs Neue. Uns allen viel Erfolg dabei.

2 Kommentare:

  1. Zu Goethe und anderen "Schreibern": Wenn das Herz voll ist, läuft der Mund über - sagt man. Könnte stimmen. Dann haben diese Menschen, für das, was in ihrem Herzen war, passende Worte - Verzeihung - schöne Worte - gefunden? Wort gewordene Gefühle sozusagen. Und dann lesen wir das und es geht andersrum: Worte werden Gefühle. Ob das dann die gleichen sind - nun, das können wir doch nur mit dem Dichter besprechen. Alles andere ist unserer Phantasie überlassen. Und Phantasie kann auch beim schreiben durchaus hilfreich sein.

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  2. Interessant, dass Du immer schlechte Noten für Deine Interpretationen bekommen hast. Wieso müssen wir immer alles so sehen, wie sich das jemand anderes denkt, als dass auch mal ein neuer Denkansatz respektiert wird.

    Ich mache mir schon Gedanken, wie ich etwas ausdrücke, damit ich verstanden werde. Es sind gerade beim geschriebenen Wort eben nur Worte. Bei einem Gespräch ist es schon einfacher, da noch Mimik und Gestik hinzukommen und die Worte unterstreichen oder bekräftigen.

    Und sei mal ehrlich, warst Du auf Deinen Mentor wütend oder einfach nur wütend, weil nicht die Reaktion eingetreten ist, die Du erwartet hattest. Letztendlich warst Du nicht wirklich wütend auf ihn sondern darauf, dass es Kritik gab und Dich nicht jemand einfach nur gelobt hat. Auch ein Phänomen, was vielen so geht. Wer wird nicht gerne gelobt für das was er tut. Tut ja auch gut. Dabei hilft Dir ehrliche Meinungsäußerung und Kritik - ob positiv oder negativ - deutlich besser weiter, wenn Du ehrlich bist. Du kannst reflektieren und wie Du an Deinem eigenen Text siehst, hast Du Dich weiterbewegt und nicht durch die Meinung Deines Mentors behindern lassen. Das ist es doch, worauf es letztendlich ankommt. Das man trotz allem weitergeht und sich nicht unterkriegen lässt, auch wenn die Erwartungen, die man hat, nicht immer erfüllt werden.

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